Ergebe dich heißt nicht
nicht handeln. Du musst
die Tore in dir öffnen.
Wild wütendes Tun baut Mauern,
will erhalten, doch das Ewige
ist Wandel. Das Schalten, Ordnen,
Rechnen nur für Zwecke ohne Sinn
verbaut Gewissheiten in Särge,
blind für sein Worin.
Erlaub‘ den Sprung hinaus ins Hoffen,
und der Bann, dein Schutzschild,
ist gebrochen. Fürchte nicht,
kaputt zu gehen: Nur wenn du
widerstehst, liegst du im Weg
als Knochenschutt, wirst abgetragen.
Dabei bist du gemacht zum Fließen.
Schöpfst du dich aus tiefstem Grund
– glaub ihm! glaub ihm! –
wirst du die Unversehrtheit finden.
Wie immer: Ich bin gespannt auf eure (lyrischen) Kommentare!
Ein tolles Gedicht – habe es schon tausendmal gelesen, nun sollte ich wohl auch mal etwas schreiben: Erst fand ich es kantig und spitz und faszinierend, dann wieder schön und träumerisch, ich kann mich nicht entscheiden. In “nur wenn du/widerstehst, liegst du im Weg/als Knochenschutt, wirst abgetragen.” habe ich mich verrannt, ein tolles Bild – allein “Knochenschutt” ist ein Wort wie eine Geschichte.
Hier ein Gedicht von mir – frisch aus der Presse. ;) Sowas wie eine Assoziationskette, etwas wie eine Traumszene die ich aber nie geträumt habe. Kam grad so.
In einem Jahr
In einem Jahr
blühen die
Blumen
mit Schnee auf den Blättern
In Kelchen
Deine Augen
Deine Tränen
Eine Vase
Blumen
Fremde Hände vielleicht
Festgekrallt
Am blättrigen Lack
Eine Ubahnhaltestange
Rostflocken vielleicht
Die auf uns rieseln
Wie Regen
Oder Tränen
Deine Tränen
nähren
Eine Vase
Blumen
Meine
Blumen im
Schlafmohnfeld
träge Löwen
Dein Gesicht
vergraben in
zottigen Mähnen
Dein Schlafatem
ruhig
An meinem
und ich
wünsche dir Sterne.
Verträumt und exzessiv Judith Hermann lesend
Lisa
Hallo Jenny,
ich möchte dir für dein Gedicht herzlich danken! Ich habe es ganz zufällig beim wilden gelangweilten Surfen entdeckt und es hat in mir eine Saite zum schwingen gebracht, obwohl ich sonst an sich eher ein Prosa-Typ bin.
Die Frage, die du hier, wenn ich ein bisschen was von deinem Gedicht verstanden hab, anschneidest, finde ich sehr spannend. Mir ist dabei die Identitätsfrage in den Sinn gekommen (und als Theologin natürlich auch die Gottesfrage), also die Frage, inwieweit wir unsere Identität fest definieren können/müssen/sollen und sie dann auch verteidigen müssen, was ja auch oft aggressiv geschieht. Also, eigentlich meine ich, dass wir Identität uns sowieso immer konstruieren, ob individuell oder kollektiv. Worüber ich zur Zeit grüble, ist, ob das Loslossen dessen (das “Fließen”) uns wirklich eine neue Freiheit schenkt oder ob wir nicht doch das Feste der Identität brauchen, um überhaupt existieren und unseren Alltag bewältigen zu können. Ob man ohne nicht verzweifeln muss. In jedem Fall glaube ich, dass es unglaublich schwer ist, sich selbst loszulassen. Eine Antwort habe ich leider nicht.
Und vielleicht hab ich ja diese Frage nur in dein Gedicht hereingelesen, weil sie mich gerade so beschäftigt ;-) Bin gespannt auf eure Meinungen zu dem Gedicht!
In jedem Fall lieben Dank für die Anregung und schreib bitte weiter!
Anne
Hallo Anne!
Cool, eine Theologin hier zu finden. (Ich besuche auch seit einigen Semestern Theologievorlesungen, bin aber eigentlich für Religionswissenschaft eingeschrieben … wofür ich noch keine Leistungen erbracht habe. ^^)
Sehr interessante Fragen. Ich finde, es gibt bestimmte Erscheinungen, an denen sich ganz viele Probleme und Fragen aufhängen, zum Beispiel Zeit, der Zusammenhang von Geistigem und Materiellem, aber auch Identität. Identität ist besonders im theologischen Kontext wichtig. Für Fragen der Moral, der Beziehung zu Gott und nicht zuletzt der Eschiatologie, wenn wir verstehen wollen, was der Tod bedeutet und von uns übriglässt.
Das Paradox der Identität ist, dass sie, wie du schon sagtest, etwas Konstruiertes ist und dadurch Wandel und Veränderung ausgesetzt – zugleich soll Identität das sein, was uns umgrenzt, uns Form und Halt verleiht. Unsere Umgrenzung ist also offen, der Halt schwebt im Ungewissen. Unser Ich ist, solange wir leben, unfertig und unergründet. Und dennoch müssen wir, um nicht buchstäblich “zu verzweifeln”, wie du bemerkst, an die Eigenständigkeit der Individuen glauben. Ich denke, Religion ist die ädequateste Form, um mit dieser Paradoxie umzugehen. Der Mensch, der von Gott abhängt (offene Identität) und dennoch frei geschaffen ist (er kann sich verschließen, seine Eigenständigkeit behaupten), macht den Widerspruch fassbar, in dem wir leben.
Persönlich glaube ich nicht, dass das totale Öffnen, das “Fließen”, richtig oder auch nur möglich wäre. Wir sind Individuen, auf Raum-Zeit-Punkte festgelegte Bewusstseine, die (sofern man einen Sinn in der Welt sieht) Verantwortung für mindestens ihren Raum-Zeit-Punkt tragen. Die Verantwortung aufzugeben oder in einen Machtwahn zu verkehren, scheint mir beides gleichermaßen falsch. Eine dauerhafte Vereinigung ist aber auch unmöglich. Vielleicht bleibt uns Menschen nichts anderes übrig, als immer nur zwischen den Extremen zu pendeln; dann ist nur wichtig, dass wir das Pendeln akzeptieren und nicht versuchen, in einem Extrem sesshaft zu werden. Leider treibt uns die Angst allzu oft dazu, die Kontrolle, die Eigenständigkeit und Abgeschlossenheit wahren zu wollen. Daher das Gegenreden in meinem Gedicht.
Ach, jetzt habe ich hier einen halben Aufsatz geschrieben. (Hat mir aber auch Spaß gemacht.)
Bis dann,
Jenny :)